Wort an Theologen
Wenn Menschen sich von Gott berühren lassen…
„Ganz gleich, wie wir Mystik definieren, es geht immer um eine Erfahrung Gottes. Sie muss nicht außergewöhnlich sein. Sie kann auch in einem kurzen Augenblick geschehen, in dem Gottes Wort mich anrührt, mir ins Herz fällt, in der Gottes Liebe mein Herz erfüllt, in dem mir die Augen aufgehen und ich für einen Augenblick in den Grund allen Seins schaue und mein Ego, das alles beurteilen möchte, vergesse.“
Anselm Grün
Anstelle eines Vorwortes…
… ein Zitat: Auf jeden Fall scheint es, man traue dem Christentum seine spirituelle Kompetenz nicht mehr zu. An diesem Punkt entscheidet sich damit das Schicksal des Christentums, zumindest in den westlichen Gesellschaften: Eine Zukunft wird es nur haben, wenn es sich auf Jesu Auftrag besinnt, Menschen mit Gott in Beziehung zu bringen und eine neue Form von Gemeinschaft zu stiften. So mahnte schon vor längerer Zeit Karl Rahner, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sein müsse, sonst würde das Christentum nicht überleben. „Alle gesellschaftlichen Stützen des Religiösen sind in dieser säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft immer mehr am Wegfallen, am Absterben. Wenn es trotzdem wirkliche, christliche Frömmigkeit geben soll, dann kann sie sich nicht lebendig und stark erhalten durch Hilfen von außen, auch nicht durch Hilfen kirchlicher Art, nicht einmal durch Hilfen – unmittelbar und für sich allein genommen – sakramentaler Art, sondern nur durch eine letzte unmittelbare Begegnung des Menschen mit Gott.
Die dringlichste Aufgabe christlicher Theologie ist es, mystische Erfahrungen zu ermöglichen und zu unterstützen. So gilt es die Sinnressourcen und die spirituelle Weisheit der 2000-jährigen Überlieferung neu zu erschließen und suchenden Menschen zur Verfügung zu stellen. Große Schätze liegen brach in der christlichen Tradition: differenzierte theologische Reflexionen, vor allem aber der Erfahrungsschatz unzähliger Mystiker und Mystikerinnen warten nur darauf, gehoben zu werden.
In der Mystik geht es nicht um ein Gefühl verschwommener Irrationalität, das sich vom nüchternen Realismus rationalen Denkens abhebt. Vielmehr ist Mystik experimentelle Theologie, eine Theologie also, die durch eigene Erfahrungen eine Vertrautheit mit Gott gewinnt. Glaube entsteht dann in erster Linie nicht durch die Auseinandersetzung mit rationalen Konzepten, sondern durch eine existentielle Suche nach Gottes Wirklichkeit in der eigenen Lebensgeschichte. Dahinter steckt die Annahme, dass der Mensch schon längst von Gott berührt ist.
Text: Hans-Joachim Tambour
Aus: „Beten ist wie sprechen mit einem Freund“ –
„Die innere Burg“ von Teresa von Ávila als spirituelles Handbuch für heute